... in einer Weite des Geistes

Toleranz heißt ja nicht, mir ist alles egal, jedes Verhalten ist recht. Vielmehr bedeutet das lateinische Wort tolerare tragen, ertragen, aushalten. Und was soll man ertragen und aushalten? Das Anderssein des anderen, auch wenn es schmerzt.

 

Zur Toleranz fähig kann eigentlich nur ein Mensch sein, der einen Standpunkt hat und sich nicht von jedem Windhauch umwehen lässt. Wer in seinem Glauben verankert ist, hat auch die Offenheit, die Auffassungen anderer zu respektieren, ohne sich selbst davon erschüttern zu lassen. Die christliche Gottesvorstellung und Weltdeutung als richtig anzusehen, muss nicht bedeuten, andere Wege zu verachten.

 

Trotz des Respekts gegenüber der Freiheit und Eigenständigkeit des anderen muss ich aber die Wahrheit nicht verschweigen, die ich für mein Leben erkannt habe. Und das umso mehr, wenn ich davon überzeugt bin, dass diese Wahrheit auch anderen guttun könnte, dass wir als Christen da sogar auch eine Verantwortung für die Gesellschaft haben.

 

Wir helfen keinem weiter, wenn wir uns verleugnen. Auch eine pluralistische Gesellschaft braucht markante und verantwortungsbewusste Gruppen, um nicht auseinanderzubrechen oder im Chaos zu enden. Demokratie funktioniert nur richtig, wenn auch wir uns kritisch zu Wort melden… Jesus spricht vom Sauerteig, vom Licht der Welt, vom Salz der Erde und von der Stadt auf dem Berge.

 

Toleranz hat aber auch ihre Grenzen. Es gilt gut zu unterscheiden, was noch hinnehmbar ist und was nicht, wo es um die Würde des Menschen und das Gemeinwohl geht, wo Verschwörungserzählungen die Runde machen oder Hass und Hetze an den Grundfesten des Zusammenlebens rütteln und das Miteinander vergiften.

 

Manches kann man gelassen und tapfer ertragen, anderes aber sollte man sachlich richtigstellen oder entschieden zurückweisen. Sind Schwächere in Gefahr, ist gegebenenfalls auch gewaltloser Widerstand zu leisten.

 

Thomas Morus kann uns wegweisend sein, wenn es darum geht: kritisch mitzudenken, verantwortlich zu handeln, auf das Gewissen zu hören, Visionen zu trauen und den Humor nicht zu verlieren. Bleiben wir in diesem Sinne unserer Berufung treu: in einem eindeutigen und klaren Bekenntnis zu Jesus Christus, aber auch in einer Weite des Geistes gegenüber anderen Sinndeutungen und Lebensweisen, mit viel Geduld und einer großen Barmherzigkeit.

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Vollständige Predigt
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