Reisetagebuch

Sonntag, 19. September 2021: Wir sind ziemlich pünktlich und vollzählig heute kurz nach 8 Uhr in Halle an der KSG abgefahren. Einer hatte sich vorgestern noch krank gemeldet, war aber glücklicherweise dann heute doch weitgehend wiederhergestellt. In Halle holte uns der Eigentümer des Busunternehmens Schwarze in Weißwasser ab, fuhr uns bis an den Stausee bei Bautzen. Dort wurde Bernd – Turbobernd – unser Fahrer.

Die Fahrt auf der Autobahn lief problemlos. An der Grenze gab es keine Kontrolle. Gegen 13 Uhr machten wir dann auf der ersten Raststätte in Polen eine längere Pause mit einer vollen Franziskustafel und am Ende gab es dann noch den Reisesegen.

Die Stimmung war während der gesamten fast 10stündigen Fahrt sehr gut. Einige spielten, andere lernten, schliefen, lasen… Die Pausen taten gut.

Nun sind wir hier in Auschwitz im Zentrum für Dialog und Begegnung. Wir haben schöne Zimmer. Die Aufnahme und das Aufteilen verliefen problemfrei und zügig.

Das Abendessen war gut und schmackhaft, auch an die Vegetarier war im offenbar Fleisch liebenden Land gedacht.

Nach dem Abendessen trafen wir uns im „Oratorium“ zur Einführung in Thema und Ort. Hennes, unser Begleiter und Ortskundiger, hat das sehr entspannt und anregend gemacht und alle waren wir sehr gut dabei.

Den Tag haben wir dann entspannt bei UNO, Werwolf und anderen Spielen im Foyer ausklingen lassen, um einer unserer Reisenden mit Beginn des neuen Tags zum Geburtstag gratulieren zu können. Mit Kuchen, Kerzen, Lied und Papierschlangen. Zwischendurch gesellten sich noch einige nach Bier dürstenden Saarländer zu uns. Lehrer einer anderen Gruppe im Haus.

Montag, 20. September 2021: Heute stand der Besuch des Stammlagers Auschwitz im Programm.

Dort nahm unsere Führerin Teresia die Leitung der Gruppe in ihre Hände und zeigte uns knapp vier Stunden das Lager. Viele überraschte, wie klein das Lager doch eigentlich war, von der Fläche her sicher wesentlich weniger als beispielsweise Buchenwald. Aber auch die festen und sehr solide gebauten Häuser sind für ein Konzentrationslager ungewöhnlich. Wenn dann aber gesagt wird, dass in einem Gebäude 700 bis 1000 Häftlinge schlafen mussten, ist sofort wieder klar, wie schrecklich diese Behausungen doch waren.

Die Führung war gut angelegt. Zunächst gibt es viele nackte Fakten und Informationen rund um das Lager. Dann wird es immer konkreter: Wie sah es aus in einem Haus, wie lange überlebten Häftlinge im Schnitt, Gesichter sind zu sehen, Schlafplätze, Toiletten, Waschanlagen … Was geschah in einigen Spezialgebäuden wie in der Krankenstation, im Gefängnis. Die Hinrichtungswand, wo tausende erschossen und erhängt wurden. Und es wird immer konkreter, greifbarer: Videoinstallationen, das Buch der Namen, aller Juden, die von den Nazis umgebracht wurden, Kinderzeichnungen, Brillen, Koffer, Prothesen, Haare. Die Zyankalidosen.

Nach einem stillen Mittagessen fuhren wir nach Harmeze. Pater Thomas, ein schwarzer Franziskaner, der im dortigen Kloster lebt, führte uns unter der Klosterkirche durch das Labyrinth des Marian Kolodziej, eine Ausstellung mit vielen äußerst eindrücklichen Bildern dieses Mannes, der selbst von 1940 an in Auschwitz eingesperrt war.

Kaum zu fassen: 50 Jahre sprach der Mann nicht von seinen Erlebnissen, behielt alles für sich und erst nach einem Schlaganfall begann er in hohem Alter, mit den Bilder alles alles aus sich heraus zu lassen. Und wie viel und was er dann alles auf Papier brachte …

Nach der Führung durch diese Ausstellung waren wir noch lange still in der Kirche.

 

Dienstag, der 21. September 2021: Kurz nach 9 Uhr kommen wir am Gedenkort Auschwitz-Birkenau an. Der Weg im Bus war nur kurz und am prägnanten Eingangsgebäude wartete schon Teresa, unsere Führerin vom Stammlager.

Man kann nicht alles aufschreiben, was irgendwie in der Erinnerung bleiben wird: die Holzbaracken, Latrinen, die Kinderbaracke mit frohen Malereien im grassen Kontrast zum Ort, Zeichnungen und angedeuteter Uhr zum Lernen der Zeit; die sogenannte Sauna, der Ort, wo Edith Stein ermordet wurde, die unfassbar vielen Schornsteine überall, wo einst Baracken standen, die Steinbaracken, errichtet aus Wohnhäusern der einstigen polnischen Bevölkerung am Ort, die Tatsache, dass es erstrebenswert war, die Latrinen nackt und mit der Hand zu leeren, weil diese Arbeit körperlich weniger anstrengend war, als Entwässerungsgräben oder Fundamente anzulegen…

Rehe, die zwischen den Ruinen grasen. Vögel singen. Die Sonne strahlt. Am Ende der Führung konnten wir noch einige Zeit alleine durch das einstige Lager gehen. Das war gut, aber die Zeit hätte länger sein können…

Nach einer kurzen Pause kamen wir am Nachmittag im „Oratorium“ zusammen, um Frau Zdzislawa Wlodarczyk (88) zu zuhören, die als Kind mit etwa 12 Jahren Ende 1944 nach Auschwitz kam und dort bis zur Befreiung des Lagers bleiben musste. Das Gespräch konnten wir als Audio aufzeichnen und wollen es online bereitstellen. Uns ging sehr nahe, dass wir noch einen Menschen erleben durften, der dieses Böse erfahren musste. Es gibt nicht mehr viele. So haben wir jetzt den Auftrag, dieses erlebte Zeugnis weiterzugeben; wir sind sozusagen „erste Kontaktzeugen“. Am Ende stand Frau Wlodarczyk Auftrag, uns an dem vielen Guten und Schönen zu erfreuen, dass wir erfahren und zufrieden und dankbar zu sein.

Am Abend setzten wir uns dann im Kaminzimmer noch mit Dr. Manfred Deselaers zusammen. Er lebt und arbeitet seit 30 Jahren als deutscher Priester und Seelsorger am Ort. Wir hätten auch dieses Gespräch aufzeichnen sollen, denn irgendwie haben Aufmerksamkeit und Kraft gefehlt, ihm zu folgen. Einige Gedanken sind doch haften geblieben: „Auschwitz“ war der Ort nur von 1939 bis 1945, jede Nation nimmt das einstige Lager anders wahr: Polen, Juden, Deutsche, … Gott war auch in Auschwitz: in der Würde jedes Menschen, in Gesten des Guten. Wer in der SS war konnte kein Christ mehr sein, auch wenn er getauft war. Für die KSG-Bibliothek haben wir die Doktorarbeit von Deselaers über den Lagerkommandanten Höss gekauft.

 

 

Mittwoch, der 22. September 2021: Ausgeschlafen, gut gefrühstückt haben wir uns mit dem Bus auf den Weg nach Krakau in das Freedom Hostel gemacht. Die Fahrt war wieder sehr entspannt. Einige haben geruht, gelesen, gelernt, andere gesungen.

Das Hostel hat der Busfahrer schnell gefunden, allerdings gibt es da keinen Busparkplatz. Nach einiger Suche ist er auf einen gut zwei Kilometer entfernten Platz an der Weichsel gefahren und wir mussten mit Gepäck zurücklaufen. Im Hostel haben wir unser Gepäck dann erst einmal eingestellt und sind gleich weiter ins Zentrum gelaufen, wo wir 13 Uhr im Restaurant Nr. 7 auf dem Altmarkt zu Mittag aßen.

Gleich danach ging es zur Stadtführung mit Frau Mathilda. Sie hat uns kreuz und quer durch die sehr schöne Altstadt geführt, ohne allerdings viel zu berichten, was wirklich haften blieb. Aber die Bauten sprechen auch für sich und sind zum Teil einfach wunderschön. Es gibt Parallelen zum gleichfalls wunderschönen Prag.

Nach der Stadtführung haben wir dann endlich im Hotel eingecheckt und uns ein wenig ausgeruht. Manche sind noch in der Stadt unterwegs, andere schon fast im Bett.

Donnerstag, der 23. September 2021: Hut ab! Neun Studierende standen nach einer sehr kurzen Nacht gegen halb acht auf der Straße, um gemeinsam eine katholisch-polnische Eucharistiefeier zu besuchen. Der Gottesdienst wurde sozusagen zügig durchgefeiert, hin und wieder erkannte ich, wo wir genau waren. Und nur am Ende stand ein Lied, ein mit Inbrunst gesungenes Marienlied.

Ein leckeres Frühstück folgte in einem kleinen, angenehmen Café: Do Syta. Zwar nicht im Hotel, aber nur wenige Meter entfernt.

Anschließend haben wir uns mit der Straßenbahn 24 auf den Weg nach Kazimierz gemacht. An der Alten Synagoge wartete Mathilda schon auf uns. | NB: Das Hotel, in dem wir wohnen, war einst das Gestapo-Quartier hier in Krakau.

Mathilda führte uns heute tatsächlich vier Stunden auf den Spuren jüdischen Lebens durch diesen Stadtteil, der einst von vielen tausend Juden belebt war und der noch immer sieben Synagogen hat, von denen eine kleine, die Remu-Synagoge, noch als Gotteshaus genutzt wird. Heute leben allerdings kaum noch Juden in Kazimierz. Der Stadtteil war nach der Vertreibung und Vernichtung lange unbewohnt und verwahrlost, ja verrufen. Erst die dort stattgefundenen Dreharbeiten zu Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ haben ihn wieder in den Blick gerückt. Seitdem wird versucht, in Kazimierz jüdisches Leben zumindest erfahrbar zu machen. Die rund 300 in Krakau lebenden Juden sind aber wohl über die Stadt verteilt.

Wir besuchten die Alte Synagoge, in der eine kleine Ausstellung über das einstige jüdische Leben zu sehen ist, und die Remu-Synagoge.

 

Nach dem wir alle Synagogen des Stadtteils zumindest von außen gesehen hatten, gingen wir zum Heldenplatz. Das ist der Ort, von dem aus die meisten der im Ghetto eingesperrten 65 000 Juden in Lager und Tod deportiert wurden. Auch der letzte große Transport und das letzte große Morden an den Krakauer Juden fand 1943 auf diesem Platz statt. Daran erinnern die vielen aus Bronze gefertigten Stühle. Ein Denkmal, das der Roman Polanski Filmemacher – u. a. Der Pianist – finanziert hat. Die Stühle erinnern an das viele Mobiliar, Koffer und Kisten, die nach der Auflösung des Ghettos dort zurückgeblieben waren. Interessant war ein Hinweis von Frau Mathilda auf den nichtjüdischen Apotheker, der auch während der Ghettozeit seine Apotheke an diesem Platz betreiben durfte und so viele Juden retten oder ihnen anders helfen konnte. Sehr wertvoll sind auch seine später veröffentlichten Berichte über das Leben im und die Liquidierung des Ghettos.

Ein anderer, der polnischen Juden haft, war Oscar Schindler. Seine Fabrik für Emaille-Gefäße befand sich nicht weit entfernt von Ghetto, so dass wir sie auch kurz aufsuchen konnten. Auf dem Weg dorthin kamen wir noch am letzten Stück Ghetto-Mauer vorbei, geformt wie Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen.

Nach vier Stunden verabschiedeten wir uns von Frau Mathilda, die an diesem Tag deutlich engagierter war als am Tag zuvor. Ob das an ihren jüdischen Wurzeln lag und ihrer offenbaren Sympathie für das Judentum…

Nach einigen Stunden, die jeder für sich verbringen und gestalten konnte, trafen wir uns am Abend wieder in Kazimierz, im Restaurant Ariel. Dort wurden wir in die erste Etage des Hauses geführt. Ein großer Raum mit vielen alten Bildern, gemütlich und stimmig eingerichtet. Die Klezmermusik mit Bass, Akkordeon und Klarinette hob die Stimmung weiter. Es war ein sehr schöner letzter Abend, der unser Miteinander in guter Weise abrundete.